Freitag, 28. Oktober 2016

Meine Woche an einer türkischen Schule


Als ich 12 war wollte meine Familie alle Zelte in Österreich abbrechen und zurück in die Türkei ziehen. Was folgte, war die schlimmste Woche meines Lebens.

Vor drei Jahren zogen ich und meine Familie „für immer“ in die Türkei. Damals besuchte ich die 3. Klasse der KMS Florian Hedorfer Schule. Meine Mutter wollte endlich zurück in ihre Heimatstadt. Als ich erfahren habe, dass ich für immer in einem fremden Land, in dem ich ein paar Mal auf Urlaub war, für immer leben werde, war ich sehr aufgeregt und voller Neugier, wie sich mein Leben weiter entwickeln würde. Nach der Zeugnisübergabe im Juli meldete ich mich von der Schule ab. Der Abschied fiel mir sehr schwer. Ich wurde in Wien geboren und ich bin hier aufgewachsen, Österreich ist mein Heimatland. Nun war die Zeit gekommen. Wir stiegen ins Flugzeug ein und flogen in die Türkei nach Manisa, die Heimatstadt meiner Mutter.

Hilfe, ich habe Angst!

Alles war fremd für mich. Ist ja klar, ich zog in ein Land, in dem ich nicht einmal die Sprache richtig beherrsche und wo die Kultur ganz anders ist als in Österreich. Es waren noch Ferien, also noch zwei Monate, bis die Schule anfängt. Ich wollte die Kultur näher kennenlernen und habe angefangen ganz viele Bücher zu lesen. Ich habe viel über das Schulsystem recherchiert, es sind eigentlich dieselben Schulvorschriften wie in meiner alten Schule. Ich habe mir keinen großen Kopf über die Schule gemacht und genoss die Ferien. Ich hatte mich nur auf einen Punkt fokussiert und das war meine Schwester. Denn meine Schwester heiratete. Ich und meine Schwester waren unzertrennlich. Deswegen war es schwer und ungewöhnlich für mich, mich von ihr zu trennen. Sie heiratete einen Türken, den sie in der Türkei kennengelernt hatte.

Ein Versuch ist es wert!

Wir hatten eine Wohnung gekauft und sie eingerichtet. Ich hatte mein eigenes Zimmer und alles, was ein Jugendlicher sonst noch braucht. Trotz allem fiel es mir schwer, dort zu bleiben, jedoch wollte ich es versuchen, für meine Mutter. Es war noch eine Woche bis Schulbeginn und wir mussten Schulsachen einkaufen. Mit meiner Mutter und Schwester gingen wir einkaufen und besorgten uns alles was nötig war: Schuluniform, Bücher, Hefte, Stifte usw.… Ich lernte durchgehend bis zum Schulbeginn und versuchte immer an das Positive zu denken.

Ich muss mich meinen Ängsten stellen!

Der große Tag stand an. Ich stand schon um fünf Uhr in der Früh auf, duschte mich, frühstückte ein wenig, zog meine Uniform an, packte meine Sachen und machte mich auf dem Weg zur Schule. Vor der Schule versammelten sich ca. 500 Schüler. Sie hatten sich versammelt, um die Türkische Hymne zu singen, denn in der Türkei wird jeden Montag und Freitag vor Schulbeginn am Morgen die Nationalhymne gesungen, was mir fremd war. Ich war schockiert, weil mich keiner darüber informiert hatte und ich den Text der Hymne nicht kannte.
Der Direktor der Schuler fing also an die Nationalhymne laut vorzusingen und plötzlich fingen 500 Schüler an mitzusingen, außer mir. Ich schämte mich und verkroch mich leise nach hinten. Als sie fertig gesungen hatten, rief der Direktor vor der ganzen Schule meinen Namen auf und forderte mich au, zu ihm zu gehen.

Was jetzt? Wieso ruft er mich?

Tausende Fragen stürmten durch meinem Kopf. Schockiert und ängstlich ging ich in langsamen Schritten zu ihm. Vor all den Schülern fragte er mich, warum ich nicht mitgesungen hätte. Ich erklärte ihm leise und mit zitternder Stimme, dass ich ein neuer Schüler bin und das ich vom Ausland komme. Verständnisvoll schickte er mich in meine Klasse. Er meinte, ich soll in die 4A im 2. Stock gehen.

Wo ist die 4A?

Ich ging ins Schulhaus rein und sah mich um. Es war zwar gewöhnungsbedürftig, weil alles so alt war, aber so schlimm war es auch nicht. Ich ging die Treppen hoch, um die Klassen zu finden, gleichzeitig läutete es. Ich beeilte mich und versuchte die Klasse zu finden. In meinem Kopf schwirrte nur: „Wo ist die 4A?“. Endlich hatte ich meine neue Klasse gefunden und klopfte leise an der Tür. Ich machte die Tür langsam auf und ging rein. Vor der Tür stand eine Lehrerin, die mich sofort wieder rausschickte. Gemeinsam mit mir kam sie raus und schrie mich an und fragte, wieso ich bereits am ersten Schultag zu spät sei. Ich versuchte ihr zu erklären, dass ich die Klasse nicht gleich gefunden hatte, jedoch ohne Erfolg, sie schickte mich zum Direktor.

Ich habe mich verlaufen!
Beim Direktorzimmer angekommen fragte er mich, warum ich zu ihm musste. Ich erklärte ihm die Situation, dass ich mich verlaufen hatte und ich im falschen Stockwerk nach der Klasse gesucht habe. Ich sagte zu ihm, dass er mich darüber informiert habe, dass das Klassenzimmer im 2. Stock sei. Er entschuldigte sich bei mir und ging gemeinsam mit mir in meine Klasse. Er erklärte die Situation der Lehrerin und ich setzte mich hin. Vor der ganzen Klasse musste ich mich vorstellen, da ich neu war. Alle starten mich an. In der Pause kamen ca. sieben Schüler zu mir angelaufen und fragten, wie es mir geht und wie es so in Österreich sei. Schnell fand ich Freunde, jedoch kannte ich mich in keinem Fach aus. Geschichte fiel mir besonders schwer, weil ich nichts über die türkische Geschichte weiß. Weinend kam ich nach Hause. Und jeden Tag wurde es schlimmer. Einmal klopfte mir ein Lehrer auf die Hand, weil ich nie aufzeigte. Ein anderes Mal schrie mich ein Lehrer an und warf mir vor, dass ich nichts wusste. Die Woche war der reinste Horror, ich kam immer weinend heim. Meine Mutter war sehr traurig und gab sich selber die Schuld an allem.

Wir fliegen zurück nach Österreich!

Sofort rief meine Mutter meine Tante an und bat sie, uns sofort Tickets nach Wien zu organisieren. Als ich das hörte schrie ich auf vor Freude. Endlich könnte ich in meine alte Schule zurück. Sofort meldeten wir mich von der Schule ab. Am nächsten Tag am Abend flogen wir zurück nach Wien. Dieses einwöchige Experiment werde ich nie vergessen.

Kenan Ö. (2BK)

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